Literaturforum Karben e.V.


Bericht vom Sommerfest, am 11. September 2021:


"Jazz und Literatur" "

Ort: Zeltbaldachin im Hof des KUHtelier im Schlosshof von Leonhardi,
Zeit: 17:00 - 21: 45 Uhr
Anwesende: ca. 73 Besucher


Unter einem luftigen Zeltbaldachin im Hof vom KUHtelier wurde ein reichhaltiges Programm im steten Wechsel von Literatur und swingendem Jazz geboten. Trotz G3-Regeln und zeitweisem Regen hatten sich mehr als 70 Besucher eingefunden. Die Band "Jazz for Friends" bot ein furioses musikalisches Programm bereits eine Stunde vor dem offiziellen Beginn des Programms.
Nicola Piesch Gesang und Ukulele, E-Bass Rudi Bläsing, Dieter Wierz Klavier, Oliver Zimmer Trompete und der Drummer Jaques Roussel spielten einen fetzig swingenden Jazz
.






Der 1. Vorsitzende Dieter Körber begrüßte die Besucher und übernahm die Moderation des Programms. Er erinnerte an das elfjährige Bestehen des Vereins und stellte für 2022 zum 12ten Geburtstag eine Feier in Aussicht, wenn auch die Stadt Karben ihren 52ten Geburtstag feiert. Die Band "Jazz for Friends" eröffnete das Programm mit "In a mellow tone".





Das literarische Programm startete mit Hans Kärcher, der Johann Wolfgang von Goethe nicht als großen Dichter, sondern als Jurist vorstellte. In einem Rechtsstreit Niedererlenbach gegen Dortelweil hat Goethe als junger Advokat 1774 Niedererlenbach vertreten. Aus den juristischen Schriftsätzen würde deutlich, dass Goethe gut daran tat zur Dichtkunst überzuwechseln, wie Hans Kärcher meinte. Gespickt mit lateinischen Sentenzen und weitschweifigen Beweisführungen legt Goethe dar, warum die Erlenbacher keine Heufuhren ausführen hätten müssen. Dortelweil ging in Berufung und so erfuhren wir nicht, wie die Sache letztendlich entschieden wurde.

Quasi im Nachgriff auf unser Programm des Frankreichabends folgt Rosie Cordsen-Enslin mit einem Essay des britisch schweizerischen Schriftstellers und Fernsehproduzenten Alain de Botton über "Flaubert und das Reisen". Für Flaubert hatten die Ägypter offenbar manches mit ihren Kamelen gemeinsam; eine ruhige Kraft und Bescheidenheit, die im Gegensatz zur bürgerlichen Arroganz von seinen Nachbarn in der Normandie stand. Flauberts lebenslange Beziehung zu Ägypten könnte uns Ermutigung sein, unser Interesse an anderen Ländern zu vertiefen und zu respektieren. Von Jugend an verachtete er sein Heimatland und sprach sich dafür aus, die nationale Zugehörigkeit eines Menschen neu zu bestimmen. Nicht nach dem Land seiner Geburt oder der familiären Abstammung, sondern nach den Orten, zu denen sich der Betreffende hingezogen fühlte. Entspannt durch die Band mit "Black Orpheus", konnten wir uns dann auf den großen Schweizer Sprach- und Stilmeister Hermann Burger einlassen. Dieter Körber erzählte, dass er ihn 1988 bei der Buchmesse persönlich erleben durfte, wo Burger eine manische Phase hatte und vor Erzähleifer und Erzählwitz sprudelte. Allerdings beschäftigte er sich auch schon früh in seinem Leben mit dem Suizid, schrieb ein Brevier über die Selbsttötung den "Tractatus logico-suicidalis". Im Februar 1989 beendete er sein Leben durch eigene Hand.

Barbara Metz las mit gekonntem Engagement und pointiert Burgers wundervoll skurrile Erzählung "Der Eremitenkongress". Die Eremiten aus der gesamten Schweiz treffen sich einmal in hundert Jahren zum Kongress. Es herrscht absolutes Sprechverbot während des Kongresses. Die Eremiten bedienen sich mittels Fahnen, die gehoben und gesenkt werden, des Morsesystems.




Nun zu Ödön von Horváth. Der am 9. Dezember 1901 im ungarischen Fiume als Sohn eines Diplomaten geborene Ödön von Horváth lebte noch Anfang der 1930er-Jahre als gefeierter Bühnenautor in Berlin. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 durften seine Stücke dann jedoch nicht mehr aufgeführt werden. Im Wiener Exil verarbeitete er innerhalb weniger Wochen im Sommer 1937 mehrere Textfragmente zu einem Roman, der ihn weltberühmt machen sollte. Bei einem Aufenthalt in Paris wird Horváth während eines Gewitters auf den Champs Élysées von einem herabstürzenden Ast erschlagen. Ödön von Horváths großartiger Roman "Jugend ohne Gott" wurde in bewegender Weise von Almut Rose vorgestellt. Er hat nichts von seiner Aktualität verloren. Horvath erzählt eine facettenreiche spannende Kriminalgeschichte vor dem Hintergrund der Indoktrinationen der Nazis im 3. Reich. Der einfühlsame und humanistische Lehrer und Ich-Erzähler kommt in Konflikt mit seinen verrohten Schülern und ihren Eltern, wird in den Mord an einem seiner Schüler verwickelt und spielt nachfolgend Detektiv, um das Verbrechen aufzuklären.

Mit den schwungvollen Klängen von "I canīt give you" wurden die Besucher in die Pause geleitet. In der Pause servierten Damen des Vereins heiße Würstchen, Frikadellen und Salate nach Wunsch aus dem reichhaltigen Buffet.

Mit "Summertime" wurde der zweite Programmteil eingeleitet. Dieter Körber las Martin Suters Erzählung "Weihnachten mit Winterberg". Eine Satire auf das Bemühen einer neu eingestellten Führungskraft unbedingt bei der betrieblichen Weihnachtsfeier eine Verbindung zum höchsten Führungskader herzustellen. Leider geht es schief, der Neuling antichambriert aus Versehen, ausgerechnet bei einem unbedeutenden Angestellten: Nicht mit der grauen Eminenz Winterberg, sondern mit Hinterberg aus der Materialverwaltung eröffnet er den Tanz. Die Zuhörer belohnten die komödiantische Begabung Körbers mit Lachen und Applaus.

Nach dem Ausflug in die Schweiz nun zurück zu einem bekannten Autor des frühen 20.ten Jahrhunderts. Kurt Tucholsky, der schon früh im Alter von 45 Jahren verstarb wahrscheinlich durch eigne Hand, war einer der bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik. Er war hochpolitisch, setzte sich für die Arbeiterbewegung ein und urteilte scharf über Richter in der Weimarer Republik, die Gefälligkeitsurteile im Sinne der politischen Elite fällten. Annette Wibowo las voller Begeisterung die kleine Geschichte "In der Hotelhalle", die sich mit dem Psychologisieren beschäftigt, das in der Weimarer Republik gerade Mode geworden war. Die Nachfrage beim Hotelportier ergab, dass nur der Psychologe auch Psychologe war - alle von ihm analysierten Gäste in der Hotelhalle waren nicht, was er vermeinte, erkannt zu haben.

"Love me or leave me" leitete über zu Robert Gernhardt. Der deutsche Schriftsteller, Dichter, Zeichner und Maler wurde 1937 in Estland geboren und starb am im Juni 2006 in Frankfurt/M. Er gilt heute als einer der wichtigsten zeitgenössischen Dichter deutscher Sprache. Sein Werk hat sich dabei von den Nonsense-Versen und den humoristischen Formen der 1960er und 1970er Jahre zu einer vielseitigen Lyrik weiterentwickelt, die Gernhardt auch stets um neue Töne erweiterte.

Rosi Kärcher ließ die Besucher teilhaben an ihrer Begeisterung für die heiteren Gedichte Gernhardts. Z. B. dieses: Als er gefragt wurde, wie ein gutes Gedicht beschaffen sein sollte: Gut gefühlt Gut gefügt Gut durchdacht Gut gemacht! Bravourös war Rosi Kärchers Auswahl aus 40 Jahren Dichtkunst.

Ganz anders, aber auch oft heiter die Verse Wilhelm Buschs, die nun Hans Georg Schrey ein ausgewiesener Kenner meist auswendig und eindrucksvoll vortrug. Wilhelm Busch, geboren am 15. April 1832 in Wiedensahl, gestorben am 9. Januar 1908 in Mechtshausen, war einer der einflussreichsten humoristischen Dichter und Zeichner Deutschlands und galt bei seinem Tod als "Klassiker des deutschen Humors". Nach einem kurzen Abriss seiner Lebensgeschichte gelang es Georg Schrey mit eindringlicher Mimik und Gestik auch ohne die Bilder den Skandal lebendig werden zu lassen, den "Der heilige Antonius von Padua" damals hervorrief. Das Werk wurde von der Staatsanwaltschaft in Offenburg wegen "Herabwürdigung der Religion und Erregung öffentlichen Ärgernisses durch unzüchtige Schriften" beschlagnahmt. Anstoß erregten Szenen, in denen der Teufel in Form einer leicht geschürzten Balletteuse Antonius zu verführen sucht oder dieser gemeinsam mit einem Schwein im Himmel aufgenommen wird.

Nach einer kurzen Kaffee-Pause mit selbst gebackenen Kuchenkreationen, die von der unermüdlichen Band musikalisch mit "Blueberry Hill" und "everybody loves somebody" untermalt wurde eröffnete Dieter Körber den gewohnterweise immer lustigen dritten Teil des Abends mit einem Wort- und Silbensalat. Er erzählte von einem Besuch im Zoo und der Entdeckung eines besonderen Tieres, dessen Namen er anhand einer kleinen Geschichte erläuterte. Er kam zur Bezeichnung des besonderen Tieres: Hottentottenstottertrottelmutterattentäterlattengitterwetterkotterbeutelratte. Diesen Namen wiederholte er zur Ergötzung der Besucher in hohem Tempo mehrmals.

Dann las Helmut Regenfuß gekonnt und eindringlich Gustav Meyrinks fantastische satirische Geschichte "Der heiße Soldat" aus der Novellensammlung "Des deutschen Spießers Wunderhorn". Der heiße Soldat war die erste veröffentlichte Arbeit Gustav Meyrinks, 1901 im Simplicissimus. Angeblich hat Ludwig Thoma das Manuskript dort aus dem Papierkorb gerettet und zur Veröffentlichung gedrängt. Neben der phantastischen Handlung enthält diese Geschichte ein starkes satirisches Element. Später verstrickte sich Meyrink - auch in seinem Leben - zunehmend mehr in esoterische und okkulte Anschauungen, da trat das Satirische in seinem Werk zurück, was seiner Akzeptanz beim Publikum nicht gerade half. Aber jetzt zum "heißen Soldaten". Der verwundete Soldat bekommt mit mehreren Hundert Grad so hohes Fieber, dass er die gesamte Umgebung in Brand setzt; der Militärarzt aber versucht immer noch, dies mit den Mitteln der Schulmedizin zu erklären.

Nach einem von Almut Rose heiter vorgetragenem pseudo Goethe Gedicht über den Zusammenhang von Haustürklingel und Mädchenbusen lasen Barbara Metz und Dieter Körber mit professionellem Elan Karl Valentins Sketch "Die Heirats-Annonce".







Am Ende des Sommerfests dankte Dieter Körber allen Mitwirkenden, allen Spenderinnen der vorzüglichen Speisen und Kuchen und den zahlreichen Besuchern. Die Akteure wurden nach dreieinhalb Stunden Programm mit reichlichem Applaus belohnt. Die Band verabschiedete sich mit "Bei mir bist Du schön".

Als nächste Veranstaltung ist wieder ein Literaturabend geplant unter dem Titel
"Die Schweizer Ikonen, Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch"
am Donnerstag, 28. Oktober 2021, 19:30 Uhr, im KUhtelier.
Im Schlosshof von Leonhardi, Burg-Gräfenröder-Straße 2. 61186 Groß-Karben

Die Besucher benötigen entweder den Nachweis einer zweifachen Impfung oder ein Genesungsattest oder einen aktuellen Negativtest.



Almut Rose